Ethnomykologie
1. Volksnamen von Pilzen
3. Feuer und Kleidung aus dem Zunderschwamm
Der Begriff Ethnomykologie bezeichnet das Studium der historischen Nutzungen und soziologischen Auswirkungen von Pilzen durch die Menschheit und kann als ein Teilgebiet der Ethnobotanik und Ethnobiologie gesehen werden. Der Begriff schließt Themen wie die Feuerherstellung mit dem Zunderschwamm und Anwendungen in der Volksheilkunde mit ein. Auch die Verwendung von Pilzen mit psychoaktiven Inhaltsstoffen wie z.B. dem Fliegenpilz kann ein Forschungsthema sein.
Wir möchten hier auf dieser Seite schwerpunktmäßig Informationen und Links zu den Themen Zunderhandwerk und Pilze als Nahrungsmittel anbieten.
AIGNER & KRISAI-GREILHUBER (2016) haben eine Studie über das Pilzwissen der Bevölkerung des Waldviertels veröffentlicht. Das Waldviertel gehört zu einem Teil zum Projektgebiet des Böhmerwaldes, sodass eine gewisse Übertragbarkeit der Ergebnisse vorbehaltlich regionaler Unterschiede bei den verwendeten Pilzarten, Volksnamen und Küchenrezepten gegeben ist.
1. Volksnamen von Pilzen
In der Pilzkunde geht folgende Weisheit um: "Die Volksnamen ändern sich von Ort zu Ort, die wissenschaftlichen Namen von Jahr zu Jahr".
Um diese Weisheit zu untermauern möchten wir Ihnen die bekannten Volksnamen des Maronen-Röhrlings
und die Historie der wissenschaftlich gültigen Namen im Wandel der Zeit zeigen:
1818 wurde die Erstbeschreibung von Elias Magnus Fries Boletus castaneus ß badius Fr. 1818 gefertigt. Danach folgten
Boletus badius (Fr.) Fr. 1821
Boletus badius var. castaneus (Fr.) Fr. 1828
Boletus glutinosus Krombh. 1836
Boletus vaccinus Fr. 1838
Rostkovites badia (Fr.) P. Karst. 1881
Viscipellis badia (Fr.) Quél. 1886
Ixocomus badia (Fr.) Quél. 1888
Suillus badius (Fr.) Kuntze 1898
Boletus badius var. glutinosus (Krombh.) Smotl.
Tubiporus vaccinus (Fr.) Ricken 1918
Xerocomus badius (Fr.) E.-J. Gilbert 1931
Imleria badia (Fr.) Vizzini 2014
An Volksnamen (vgl. ZEITLMAYR 1955) sind uns bekannt:
Blaupilz
Braunkappe
Bräunl
Frauenschwamm
Graspilz
Marienpilz
Maronen-Röhrling
Marone
Nadelstreu-Maroni
Schafsschwamm
Schmalpilzl
Tannenpilz
Weishedl
Zitierte Literatur:
ZEITLMAYR L (1955): Knaurs Pilzbuch von Linus Zeitlmayr mit 70 farbigen Pilzbildern von Claus Caspari. München.
2. Pilze als Nahrungsmittel
Schon in der Altsteinzeit wurden Pilze als Nahrungsmittel genutzt. Bei der Geschichte der Pilzkunde im Böhmerwald wird darauf hingewiesen, dass bei vielen Pilzfreunden das pilzkundliche Interesse vielfach über das Sammeln von Speisepilzen entstanden ist. In Europa gibt es Länder und Regionen, die als mykophil bezeichnet werden und solche die als mykophob gelten. Der gesamte Böhmerwald darf eindeutig als mykophil gelten, empirisches Wissen hat sich hier über die Jahrhunderte alte Nutzung von Pilzen als Nahrung aus dem Wald entwickelt.
Unter den hier dargestellten mehr als 4.200 Pilzarten befinden sich je nach Bewertung zwischen 150 und 300 essbare Pilze. Mehr als 250 Arten gelten als giftig bis giftverdächtig, mindestens 12 Pilzarten sind stark organschädigend und können ohne medizinsche Hilfe tödlich wirken.
Da sich in der Literatur und im Internet schon unzählige Publikationen mit dem Thema Speisepilze beschäftigen, möchten wir hier nur einige weiterführende Links empfehlen, verbunden mit dem Hinweis, dass im Internet auch eine große Anzahl an Beiträgen und Webseiten mit zweifelhaften Inhalten existiert. Wenn es also um die Bestimmung und Nutzung von Pilzen zu Speisezwecken geht, so sollten Sie bitte immer ihren gesunden Menschenverstand und stets nur seriöse Quellen nutzen. Unbekannte Pilzarten sind potenziell giftig, woraus folgt, dass in den Kochtopf nur zweifelsfrei als essbar erkannte, frische Pilze gehören. In Deutschland finden Sie nützliche Informationen, Kontakte zu Pilzsachverständigen und Vereinen rund um das Thema Pilze auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. In Österreich analog dazu bei der ÖMG. In der Tschechischen Republik können sich Pilzfreunde bei der Tschechischen Mykologischen Gesellschaft informieren. Dort gibt es ebenfalls eine Informationsseite zu Giftpilzen.
Auch jenseits der "Volksernährung" finden Pilze heutzutage als leckere und gesunde Abwechslung auf dem Speiseplan vielseitige Anwendungen. Dabei sind der Kreativität in der Küche kaum Grenzen gesetzt, wenn es nicht der Klassiker "Böhmisches Schwammerlgulasch" sein soll. Alles geht heutzutage nach dem Motto "Wildpilze als gesunde Genussmittel, nicht billige Sattmacher".
Wer sich allein noch nicht herantraut und im Bekanntenkreis keine Experten hat, der kann sich mit Kursen für Einsteiger wie z.B. der PilzCoach-Ausbildung behutsam herantasten.
An dieser Stelle möchten wir eine Auswahl von Speisepilzen und ungenießbaren giftigen Doppelgängern vorstellen. Ausführliche Beschreibungen aller bekannten Pilze des Böhmerwaldes finden Sie hier.
Bitte bedenken Sie bei der Nutzung von Bildern zur Bestimmung, das Pilze einer Art je nach Reife und Feuchtegehalt sehr unterschiedlich aussehen können. Eine Liste der in Deutschland zum Verzehr empfohlenen Speisepilze finden Sie hier.
Etliche Pilzarten werden regional und individuell unterschiedlich bewertet. Diese Arten finden sich in einer weiteren Liste.
Als Speisepilzsammler sollte man sich auch mit den teils lebensbedrohlich giftigen Pilzarten vertraut machen. Je nach Definition und Dosis kommen im Projektgebiet sicher mehr als 300 Giftpilzarten vor. Nachfolgend zeigen wir eine Auswahl.
Und natürlich gibt es auch deutlich mehr essbare Wildpilze als Steinpilz, Marone und Pfifferling im Böhmerwald. Je nach individueller Definition sind vermutlich mehr als 300 Pilzarten in der Region (teils nur in geringen Mengen) als Speisepilze geeignet. Bitte beachten Sie auch, dass nur sehr wenige davon roh bekömmlich sind. Wir empfehlen eine Garzeit von mid. 15 Minuten bei 90 Grad. Manche Arten wie der Hallimasch Armillaria mellea agg.) sollten vor der Zubereitung 5 Minuten in kochendem Wasser vorgegart werden.
Die folgende Auswahl ist nicht als generelle Verzehrempfehlung anzusehen. Einige Arten sind ggf. regional gesetzlich geschützt. Der etwas zähe Klebrige Hörnling (Calocera viscosa) wir nach unseren Erkenntnissen nur im tschechischen Teil des Böhmerwalds in Mischpilzgerichten verwendet. Manche Arten wie z.B. einige Egerlinge (Agaricus) oder Lacktrichterlingsarten (Laccaria) akkumulieren Schwermetalle oder wie der z.B. der Maronenröhrling radioaktive Substanzen. Auch individuelle Unverträglichkeiten oder Allergische Reaktionen sind möglich. Es wird empfohlen, beim ersten Mal nur kleine Mengen einer Pilzart zu kosten. Wie auch bei anderen Lebensmitteln gilt die Regel "Die Dosis macht das Gift".
3. Feuer und Kleidung aus dem Zunderschwamm
Der Zunderschwamm (Fomes fomentarius), im Bayerischen Wald Huder- auch Hodersau genannt, war bereits 1995 Pilz des Jahres in Deutschland.
Sein Nutzen im Naturhaushalt als Naturnähezeiger, seine Anwendungsmöglichkeiten in der Naturheilkunde und die Jahrtausende alte Tradition zur Feuerherstellung sowie für Kleidung und Putzlappen (Hodern).
Die breite Anwendung bei der Feuerherstellung mit Feuerstein und Schlageisen wurde erst mit der Erfindung der Zündhölzer beendet. Heutzutage begeistern sich Archäologen und Outdoor-Enthusiasten an der alten Technik der Feuerherstellung.
Der weltweit bekannteste User der Huder- oder Hadersau, wie der Porling im Bayerischen Wald „liebevoll“ genannt wird, war Ötzi, die bestuntersuchteste Steinzeitmumie der Welt. Natürlich gab es Zunderschwämme schon sehr lange vor Ötzi’s Geburt. Kreisel & Ansorge berichteten 2009 in der Zeitschrift für Mykologie über den vermutlich größten bis dahin dokumentierten subfossilen Pilzfruchtkörper überhaupt. Er stammte aus einer Baugrube bei Stralsund und wurde auf etwa 7300 Jahre datiert. Da die ältesten bekannten Vorfahren der Buche (Fagus pliocenica) als Versteinerungen aus dem Tertiär erhalten sind, ist es gut möglich, dass es Zunderschwämme seit mehr als 3 Millionen Jahren auf der Erde gibt. Das Ötzi auch den Zunderschwamm dabei hatte, war natürlich kein Zufall. Es ist hinlänglich bekannt, dass bis zur Entwicklung der Streichhölzer vor ca. 180 Jahren Feuer am Einfachsten mit Schlageisen und Zunder hergestellt werden konnte. Mit weich geschmiedetem Stahl, Feuerstein und Zunder schlug man Feuer und bewahrte die Glut. Man konnte in einem Gefäß glimmenden Zunder auch über einige Zeit lang transportieren. Der Begriff Zunder umfasst hierbei im Übrigen alle Arten von leicht entflammbaren Materialien, so z. B. auch präparierte Rohrkolbensamen. Nahezu alle prähistorischen Nachweise belegen jedoch den Zunderschwamm als häufigstes verwendetes Material. Bis in die heutige Zeit erhalten hat sich der uralte Brauch, mit brennenden Hudersauen das Osterfeuer von Ort zu Ort zu tragen.
Der Zunderschwamm kommt auf der gesamten nördlichen Halbkugel vor, also ostwärts über Russland bis in die Mongolei (auch Indien, Pakistan) und westwärts in Nordamerika. Da das hiesige Lieblingssubstrat vom Zunderschwamm die Buche ist, hat er hier ein sehr großes Areal (vgl. www.pilze-deutschland.de). Als zweithäufigster Wirtsbaum gilt die Birke, die als schnellwüchsige Pionierpflanze jedoch deutlich kleinere Fruchtkörper aufweist als alte mächtige Buchenstämme. Seltener werden andere Laubholzarten wie Hasel, Kirsche und auch Walnuss besiedelt. Das gehäufte Auftreten von Zunderschwämmen in Waldgebieten gilt als gutes Zeichen für deren naturschutzfachlichen Wert. Er wird dort als Naturnähezeiger betrachtet und befällt als parasitisch lebender Pilz geschwächte Bäume. Nach dem Befall kann er noch eine ganze Weile als Saprobiont im befallenen Holz weiterleben und bis zu 30 Jahre alte Fruchtkörper bilden. Diese beginnen jung halbkugelig (Bild) und entwickeln sich normalerweise konsolenförmig bis zu 10-30 (60) cm Durchmesser. In jeder Wachstumsphase werden neue Schubringe gebildet, pro Jahr zwischen zwei und drei. Fällt ein stehend abgestorbener Baum mitsamt seiner Fruchtkörper um, wachsen die Fruchtkörper in Richtung des Erdmittelpunktes weiter, was mitunter zu interessanten Formen führt. Wer Zunderschwämme an Nadelbäumen wie z. B. Fichten sucht und „findet“, hat vermutlich seinen Doppelgänger, den Rotrandporling (Fomitopsis pinicola) in der Hand.
Insbesondere alte Exemplare können äußerlich täuschend ähnlich aussehen, doch reicht bereits ein Schnitt durch die zähen Konsolen aus, um das rost- bis tabakbraune Gewebe des Zunderschwamms vom helleren des Rotrandporlings zu unterscheiden. Wer ein Feuerzeug dabei hat, kann im Zweifelsfall auch die Flammrobe auf der Hutoberseite machen. Beim Rotrandporling schmilzt die Lackartige Außenschicht. Die Zunderschwämme erzeugen im Holz durch den Abbau von Ligninen übrigens eine Weißfäule, während der Rotrandporling nach dem Abbau von Zellulose eine Braunfäule verursacht.
Fomes fomentarius ist also schon mindestens seit der Steinzeit ein wichtiger Zunderlieferant für die Menschen gewesen. Für die Nutzung muss man die frischen Pilze zunächst schälen. Die filzige Mittelschicht wird dann eingeweicht, gekocht, geklopft, einige Wochen in Urin eingelegt oder mit Salpeter behandelt und getrocknet. Das Resultat dieses aufwändigen Prozesses ist dann eine tabakbraune filzige Masse, die bei auftreffenden Eisenfunken zu glimmen beginnt. Dieser Prozess muss ebenfalls geübt werden, bei feuchtem Material und feuchter Witterung wird es sehr schwierig. (Bilder vom Feuermachen)
Unbehandelter Zunder wurde zu “Wundschwamm” verarbeitet. Den Wundschwamm gab es bis ins 19. Jhdt. in Apotheken als blutstillende Wundauflage zu kaufen. Da sich der geklopfte und getrocknete Zunderschwamm wie Filz ziehen und ansetzen lässt, ließ er sich vielseitig verwenden. Große Stücke wurden zu Kleidungsstücken verarbeitet. Vom Bistum Freiburg ist die Herstellung von Talaren aus Zundermaterial bekannt (Hockenjos, W.: "Zunder für den Wald" in NATIONALPARK 91 (3/96, S. 21 - 23). Der Bedarf an Zunder war zeitweilig so hoch, dass er in Deutschland fast ausgerottet war und aus Osteuropa eingeführt werden musste. Aus der Gegend von Todtnau (Schwarzwald) ist bekannt, dass es dort um 1830 noch drei Zunderfabriken gab. Noch 1871 fertigte eine von diesen Fabriken 750 Zentner Zunder. Von etlichen Forstrevieren wurden Lizenzen zur Zunderernte vergeben.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts löste dann die Erfindung des Streichholzes den Zunder beim Feuer machen ab. Diese Entwicklung war vermutlich die Rettung für die Art und ihre Wirte, oft stattliche alte Buchen. Nun ist anstelle der Pilze ein altes Handwerk, ja ein ehemals bedeutender Wirtschaftszweig in Deutschland ausgestorben. Erhalten haben sich hie und da Traditionen wie z. B. das Fest der Köhler- und Schwämmklopfer aus Neustadt am Rennsteig in Thüringen. Das Rennsteigmuseum hat die wohl umfangreichste Sammlung zum Zunderschwamm veröffentlicht.
Erhalten hat sich dieses Handwerk bis in die heutige Zeit in Siebenbürgen. Doch auch dort ist die Anzahl der Handwerker in den letzten 25 Jahren auf wenige Dutzend Könner geschrumpft. Die Verargbeitungstechnik wird in der Regel nur innerhalb der Familien vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Nicht zuletzt durch die kreative DGfM-PilzCoach-Bewegung und einen wachsenden Interessentenkreis für „veganes Leder“, das in diesem Fall wohl funganes Leder heißen sollte, gibt es hierzulande eine ordentliche Nachfrage nach Zunderschwamm-Produkten, sodass die verbliebenen Kunsthandwerker in Transsilvanien gut beschäftigt sind und auch in Deutschland neue kreative Ideen mit diesem Material entstehen.
Die geschälten Zunderschwammkerne werden in Pottasche eingeweicht, in Laugen und Salzsäure gekocht, bis sie schön weich sind. Die so vorbehandelten Stücke werden durch Klopfen (Schwammelesklopfer!) und Ziehen auf die Zehnfache Fläche vergrößert. Danach werden sie getrocknet und zu Hüten, Taschen, Tischdecken und kleinen Souvenirs weiterverarbeitet.